100 Meilen Berlin – Mauerweglauf 2018
Mein Laufabenteuer rund um Berlin beginnt
eigentlich vor 38 Jahren.
Dazu aber im folgenden Bericht mehr.
Der Berliner Mauerweglauf – «100 Meilen
gegen das Vergessen». So wird die am 11./12. August ausgetragene
Veranstaltung in der abgegebenen Laufbroschüre beschrieben.
Seit 2011 gibt es ihn, den 100 Meilen Lauf auf dem Berliner Mauerweg in
Erinnerung an die Opfer der früheren Grenze zwischen West- und Ost Berlin. Was
damals mit 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern begann, hat sich inzwischen zu
einer festen Grösse im Kalender der internationalen Ultramarathon-Veranstaltungen
entwickelt.
Schirmherr des Berliner Mauerweglaufs ist der ehemalige DDR Bürgerrechtler
Rainer Eppelmann.
«Der Berliner Mauerlauf weg ist nicht einfach ein Ultramarathonlauf – nein das
ist ein Ultramarathonlauf welcher für mich mit vielen, vielen Emotionen und
Erinnerungen an meine «Twenty Jahre» verbunden ist». Natürlich aber auch eine
weitere Veranstaltung wo sich viele meiner Bekannten fragen – was hat der
Keller eigentlich, vor was läuft der den immer davon? Und wie immer weiss ich
auf diese Frage auch keine verständliche und nachvollziehbare Antwort. Aber
muss man eigentlich auf alles eine Antwort haben? Ich meine klar NEIN!
Wir reisen am Mittwochmorgen von Zürich nach Berlin Tegel. Ein langsam in die
Jahre gekommener Flughafen der in der Geschichte von Berlin aber eine grosse
Rolle spielt. Mit dem Bus TXM geht’s dann in knapp 35 Min zum «Park Inn» Hotel
direkt am «Alex» (Alexanderplatz). Auch dieses Gebäude ist ein Teil der
Berliner Nachkriegsgeschichte. Gebaut als Prunkstück vergangener DDR Zeiten,
ragt es direkt neben dem Berliner Fernsehturm majestätisch in den Berliner
Himmel. Vom 32. Stock aus können wir die wunderbare Aussicht auf Berlin Mitte
geniessen. Einmalig und eindrücklich in einem.
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Ostberliner Fernsehturm «Telespargel»
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Die Tage vor dem grossen
Ereignis, von Mittwoch bis Freitag, sind wir auf Erkundungstour durch Berlin und
dies notabene bei knapp 38 Grad. Mein einziger Gedanke dazu ist: Wenn das so am
Mauerweglauf sein sollte, droht uns die Hölle auf Erden. Der Sommer 2018
schlägt also auch in Berlin ganz schön durch. Fazit: Nach zwei Tagen City Tour
bin ich kaputter als nach einem Mehrfachmarathon.
Der Spruch «die Welt ist schon ganz schön klein» trifft übrigens auch auf uns
zu. Gemütlich beim Kaffee sitzend kommt um die Ecke mein kleiner Bruder Herbi mit
seinem Sohn Luca auf uns zu. Millionen von Menschen und wir treffen uns genau
in Berlin. Ist das Zufall?
Freitag, 10. August
Ich entscheide mich die
Startnummer bereits frühzeitig abzuholen. Die meisten Läufer werden dann eh auf
das Briefing um 18 Uhr im Hotel H4 erscheinen. So kann ich mir auch noch in
Ruhe ein erstes Souvenir aussuchen. Als Erinnerung erhält jeder Teilnehmer ein
original Stück Berliner Mauer.
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Berliner Mauer
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Zum
Briefing treffen wir dann auch Roland Cavelti der sich 3 Wochen davor noch
kurzfristig anmelden konnte und Mundi.
Mundi hab ich letztes Jahr beim Burgos Lauf in Spanien kennengelernt. Ein ganz
toller Typ der ebenso wie ich für nicht alltägliche Laufevents zu begeistern
ist. Hat er doch bereits den Ladakh Marathon bestritten und im zweier Team die
Tortur absolviert. Roland, ein langjähriger Laufkollege hat auch schon ein paar
namhafte Läufe wie den Comrades Marathon (Back-to-back Finisher), den Two
Oceans, und etliche Stadtmarathons bestritten.
Das Briefing ist dann nichts Weltbewegendes. Und immer die gleichen Fragen! Trotzdem
gab es ein paar Hinweise die man besser befolgen sollte. Auf keinen Fall rote
Ampel überqueren auch wenn weit und breit kein Mensch in der Nähe sein sollte.
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Ampelmann
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Letztes Jahr wurde jemand
deswegen qualifiziert und anscheinend soll in diesem Jahr auch jemand aus
diesem Grunde aus der Wertung gefallen sein. Auch das Tragen von Kopfhörern
soll nur zwischen Verpflegungspunkt 7 bis 21 erlaubt sein. Nachträglich kann
ich auf die Frage von einzelnen Teilnehmern zum mitführen des GPS Tracks noch
folgendes sagen.
Ein GPS Track ist bei diesem Lauf wirklich nicht nötig. Die Markierungen waren
so klar und gut platziert, dass man schon fast mit geschlossenen Augen
unterwegs sein müsste um den Weg zu verfehlen. Auch dafür dem OK ein riesen
Kompliment.
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Rund um Berlin
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Geschichte des Berliner Mauerweglaufes
So bekannt ist dieser
offizielle 100
Meilen Lauf von Berlin ja nun auch wieder
nicht. Trotzdem, bei Insidern ein absoluter «To do» Event. Ich bin vor ein paar
Jahren auf diese Veranstaltung gestossen. Letztes Jahr wurde ich nach der
abgelaufenen Anmeldefrist noch auf der Warteliste parkiert.
So habe ich mir geschworen bei der Ausschreibung
2018 dabei zu sein. Unglaublich aber wahr, ich habe die Öffnung der Anmeldung
auf der Homepage um drei Stunden verpasst und wurde wieder auf die ominöse Liste
gesetzt. Rund 450 Einzelläufer sowie zweier, vierer und 10 Staffeln sind
startberechtigt. Bei meinem Aufenthalt im April in Südafrika zum Munga Trail 2018 habe ich dann die freudige Nachricht erhalten,
dass ich nachgerutscht sei.
Die Berliner Mauer
Am 9. November 1989 fällt,
ohne ein einziger Schuss die Mauer, welche diese Stadt über Jahre gespalten hat.
Damals am 15. Juni 1961 hat
Walter Ulbrich, Vorsitzender des Staatsrades der DDR hoch und heilig verkündet
«Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Kein Bauwerk soll den Ost-vom
Westdeutschen Teil Berlins trennen». Am 13. August 1961, nicht einmal zwei Monate
nach dieser Rede ist die Mauer Realität. Der Bau hat begonnen. Ein 160 km
langes Ungetüm teilt West- und Ost Berlin und leitet damit den «Kalten Krieg»
zwischen den Weltvölkern ein.
Hier beginnt dann auch meine
persönliche Geschichte zu Berlin. Kurz nach Beendigung der Rekrutenschule im
Juli 1980 bin ich mit einem Koffer (war noch keine Berliner Luft drin) von
Zürich nach West-Berlin gezogen. Raus damals in die weiter Welt. Natürlich der
Liebe wegen!
Unsere Wohnung befand sich damals, Luftlinie 150 Meter
von der Bernauer Strasse entfernt. Heute Gedenkstätte Berliner Mauer. Oft bin ich abends nach der Arbeit der Westseite der
Mauer entlanggelaufen und habe von einem einfachen Aussichtsturm rüber geschaut
in den Osten. Für mich war es damals wie heute einfach unvorstellbar wie sich
eine Stadt von einem Tag auf den anderen unter Gewalt und Todesandrohung in
zwei Sektoren teilen konnte.
Viele Berliner aus dem Westteil haben noch damals an wenigen Stellen ihren
Bekannten im Osten zuwinken können. Dies leider auch nicht lange, den an den
allermeisten Stellen wurde die Mauer perfektioniert und war bereits kurze Zeit nach
ihrer Erstellung am 13. August 1961, für die Menschen ein absolut
undurchlässiges Monster.
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Sprung eines SED Militärs in die Freiheit
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Ich
weiss nicht wie viele der teilnehmenden Läufer an die damalige Zeit noch
persönliche Erinnerungen haben. Ich bin sicher es sind doch einige. Und meine, während
meines sechsjährigen Aufenthaltes in West Berlin, sind in diesen Tagen noch
sehr präsent dazu.
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Bernauer Strasse «Gedenkstätte Berliner Mauer»
Es geht los
Freitagabend, zum x.sten mal packe ich meinen Rucksack. Wie immer steigt die Nervosität langsam aber ganz sicher ins unermessliche...Zum Glück ist die vorgegebene Pflichtausrüstung sehr gering. Handy mit gespeicherter Notfallnummer, Leuchtweste und eine Taschenlampe oder eine Stirnlampe, mehr nicht. Nehme mir noch ganz wenig Notration mit und etwas Wasser als Reserve. Bei den 26 Verpflegungsposten und davon drei Wechselposten ist zusätzliche Kalorienmitnahme aber reiner Luxus. Dafür steht plötzlich folgende Frage im Raum. Schuhe wechseln? Zusätzliche Verpflegung und Wechselkleidung auf Mann? Was soll das? Es herrschen beste Wetterbedingungen, praktisch alle 6-8 km ein Posten - und in max. 30 Stunden sind wir ja wieder zurück in der guten Stube bzw. im feudalen Hotelzimmer. Also für mich ist klar, nur das Nötigste wird an den Wechselpunkten noch eingepackt. Trotzdem war ich froh, konnte ich nach WP1 meine Schuhe - Asics gegen den neuen HOKA tauschen. Bin dann fast geflogen - etwas übertrieben - aber mit dem neuen Schuh lief es sich schon sehr gut und bequem.
11. August «Race day»
So, jetzt gilt es ernst. Der Wecker ging bei mir um
03.45 Uhr los. Kurz unter die Dusche und dann aus dem Zimmer schleichen. Habe
eigentlich ganz gut geschlafen. Das war und ist leider nicht immer so. Aber seit
mir mein Freund Peter Osterwalder, ein ebenfalls Wahnsinniger und dazu
erfolgreicher Läufer mal verraten hat, dass er vor grossen Läufen immer eine
kleine Nachhilfe (was, lassen wir mal offen!) nimmt – seitdem bin ich immer
ganz schnell im Reich der Träume und hab somit ein erstes Problem fein gelöst.
Mit der U-Bahn bin ich dann direkt vom Alexanderplatz zum Jahn Sportpark
gefahren. War zwar etwas zu früh da aber so konnte ich in Ruhe meine letzten
Vorbereitungen treffen und auf Mundi und Roland warten.
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Hoffnungsvoll vor dem Start |
Punkt 06.00 Uhr und mit der passenden Hyme von Pink Floyd «The Wall» erfolgt der Startschuss. Wie jedes Mal löst sich bei mir auch in diesem Moment die ganze Konzentration, Nervosität und Angst und ich falle in meine eigene Welt hinein. Hoffe ich kann es auch dieses Mal wieder voll geniessen, mich freuen, ärgern beissen, fluchen und auch weinen, wenn es nicht mehr gehen sollte. Dies mit dem Ziel einmal mehr den inneren Schweinhund zum Teufel zu jagen. Ich wäre mega stolz, nach getaner Arbeit, erhobenen Hauptes, glücklich und zufrieden wieder mit den Kollegen und eventuell neuen Bekanntschaften ins Ziel einzulaufen. Nichts weniger als diesen einen Wunsch wünsche ich mir in diesem Augenblick für die folgenden Stunden.
In den vergangenen Wochen habe ich mir noch keine grossen Gedanken zu einer möglichen Laufzeit gemacht. Obwohl ich 160 km bereits in anderer Form gelaufen bin, zB. an Mehrettappenläufen. In der Wüste Kalahari 250 km, Marathon des Sables 240 km, in Bhutan 220 km, am Irontrail T201 km oder durch die ganze Schweiz mit 350 km, wird dieser 100 Meilen Lauf etwas ganz Neues für mich werden.
100 km, beim Klassiker der «Nacht der Nächte» in Biel, kenne ich. Diese Strecke ist abzuschätzen und spätestens nach 10 bis 12 Stunden bist du im Ziel. Nochmals 61 km drauflegen ist dann aber doch nochmals etwas auch für mich unbekannt Neues.
Rechenbeispiel: Biel 100 km, rein mathematisch hochgerechnet mit einer Zeit von 11 ½ Stunden würde sich eine Endzeit von etwa 19-21 Std. ergeben. Dann noch etwas drauf, man wird ja auch langsam etwas müde und so habe ich mir zum Ziel gesetzt das Rennen nach Möglichkeit in etwa nach 24-25 Std. zu beenden. Hätte ich damals glatt unterschrieben. Jetzt kam aber dazu und das habe ich erst kurz vor dem Start erfahren, dass man als Finisher mit einer Zeit unter 24 Std. noch den Buckle erhält. Der Buckle ist eine Gürtelschnalle die hauptsächlich bei den 100 Miles Rennen in den USA vergeben wird. Die haben Kultstatus und es wäre meine Erste.
Jetzt war mein Ziel plötzlich klar und benennbar. Die Gürtelschnalle muss her, da gibt’s keine Diskussion. Wir werden später erfahren ob es gereicht hat oder nicht.
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Mein Ziel «The Buckle» |
Endlich,
die grosse Läuferschar kann sich in Bewegung setzten. Übermütig und zum Teil juchzend
ging es auf die Strecke. Es wurde gequatscht und gelacht und zwar genau so
lange bis ein Läufer vor mir wegen Unkonzentriertheit nach ca. 1 km in den
ersten Kandelaber reingeknallt ist. Das tat weh, ich habe es gespürt als wäre
es mir passiert.
Die Strecke führt dieses Jahr im Uhrzeigersinn um Berlin herum. Für mich
natürlich super, so kann ich mir die schönsten Punkte von Berlin noch bei vollem
Bewusstsein zu Gemüte führen und nicht auf dem letzten Zahn laufend.
Wir laufen zusammen los, Roland, Mundi und ich. Dabei kann ich mich als
Reiseführer ausweisen und meinen Freunden etwas zu den Sehenswürdigkeiten
erzählen. Vom Start direkt aus dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark sind es nur
rund 200 Meter Luftlinie bis zu meinem damaligen Wohnort an der Usedomerstrasse.
Dabei passieren wir bereits die erste Touristenattraktion, die Gedenkstätte Berliner Mauer. Von der folgenden Strasse aus, der
Invaliedenstrasse, sieht man direkt auf eine Kirche. Meine Hochzeitskirche.
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Meine Hochzeitskirche im Hintergrund |
Hier habe ich 1986
geheiratet. Roland und auch Mundi könne es kaum glauben. Hier war auch die
Wohngegend des bekannten Berliner Originals Heinrich Zille. Ein
Künstler aus dem Milieu des Berliner Weddings.
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Berliner Reichstag |
Weiter geht es Richtung Regierungsviertel, Brandenburger Tor und Unter den Linden.
Und
jetzt folgt eine wunderbare Überraschung für uns.
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Leichtathletik Europameisterschaft 2018 |
Wie bereits erwähnt findet
zur gleichen Zeit in Berlin auch die Leichtathletik Europameisterschaft statt.
Viele Schweizer Fans haben deshalb den Weg hierhin gefunden. Es ist genau 06.30
Uhr und vor uns werden plötzlich Schweizer Fahnen geschwenkt. Markus Roth und
Peter Camenzind wollen uns alles Gute für die bevorstehenden Kilometer wünschen
und begrüssen uns freudig. Mit beiden zusammen habe ich bereits einige Läufe
bzw. mit Markus als Inhaber von Albis Reisen tolle Marathon und Laufreisen absolviert. Wir drei sind echt
gerührt unsere Freunde hier anzutreffen. Danke vielmals für euren Support. Das
war grossartig.
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Markus und Peter |
Weiter
geht’s zum Asisi-Panorama durch die Innenstadt, vorbei am Axel Springer
Verlagshaus, Deutsche Oper und weiteren historischen Bauten. Nicht zu vergessen
vorbei am Checkpoint Charlie. Sicher einer der Geschichtsträchtigsten Orte in der
Geschichte des geteilten Berlins.
Zwei Tage davor habe ich mir mit Moni die East Side Gallery angeschaut. Ein ca.
1 km langes Kunstwerk mit den Resten der noch erhaltenen Berliner Mauer. Nun
laufen wir an den weltberühmten Graffiti Bildern vorbei und machen zur
Erinnerung noch das eine oder andere Foto.

Wikipedia East Side Gallery
Das
Denkmal East Side Gallery in Berlin-Friedrichshain eine dauerhafte
Open-Air-Galerie auf dem längsten noch erhaltenen Teilstück der Berliner Mauer
in der Mühlenstraße zwischen dem Berliner Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke
entlang der Spree. Im Frühjahr 1990,
nach der Öffnung der Berliner Mauer, wurde dieses Teilstück von 118 Künstlern
aus 21 Ländern auf einer Länge von 1316 Metern bemalt. Die Künstler
kommentierten in gut einhundert Gemälden auf der ehemals Ost-Berlin zugewandten
Seite der Mauer mit den unterschiedlichsten künstlerischen Mitteln die
politischen Veränderungen der Jahre 1989/90.
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Sozialistischer Bruderkuss |
Die Spitzenläufer sind
bereits auf und davon. Ansonsten sind aber
die meisten Läufer noch kompakt zusammen. Natürlich wird sich das im Laufe der
nächsten Stunden noch ändern. Es gibt mir so aber auch noch die Möglichkeit mit
dem einen oder anderen noch einen kleinen Schwatz abzuhalten. Irgendwann wird es
dann ja nicht mehr so einfach gehen – das Sprechen – meine ich.
Kurz vor VP 3 Dammweg, bei km 19,3 kommen wir zum
Gedenkmahl von Jörg Hartmann (1956 – 1966).
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Jörg Hartmann |
Die
Organisatoren des Berliner Mauerweglaufes haben es sich zur Pflicht gemacht an
das «Vergessen» zu appellieren und dabei wird jedes Jahr einem Maueropfer gedacht.
In diesem Jahr sollte dies Jörg Hartmann sein. Mir und vielen anderen Läufern
kamen an der Präsentation die Tränen, als wir von diesem Schicksal Deutscher
Geschichte hörten. Jörg ist das jüngste Mauer Opfer. Im Alter von 10 (zehn!)
Jahren wurde er von Soldaten der Volksarmee erschossen, weil er mit seinem
etwas älteren Freund versuchte seinen in West-Berlin lebenden Vater zu
besuchen. Grausamer und menschenverachtender kann man sich diese Mauer eines
sozialistischen Regimes nicht vor Augen führen. Mir lief es während dem Lauf
mehrmals eiskalt den Rücken runter als wir bei den verschiedenen Gedenkstellen
für die einzelnen Opfer vorbei kamen.
Im Vorfeld zum 100 Meilen Lauf wurden alle Teilnehmer aufgefordert an der
Gedenkstelle von Jörg Hartmann ein kleines Präsent zu platzieren. Dies soll
dann im Anschluss zum Rennen an diverse Kinderheime verteilt werden. Ein ganz
originelles hat Mundi besorgt. Ein mega tolles Kick Bord. Meinerseits habe ich
einen kleinen Plüschlöwen platziert mit einer Karte und dem Spruch «Zürileu
trifft Berliner Bär»
Am 11.9.2018 habe ich dann folgendes Mail erhalten. Ich bin jetzt noch gerührt
und freue mich riesig, dass mein kleines Präsent angekommen ist.
Lieber Stephan,
Ihr Züricher Löwe ist hier in
meiner Kita angekommen:
Wir haben uns sehr gefreut
und ich war sehr bewegt, dass so viele Menschen sich beteiligt haben.
Ich möchte mich an der Stelle
herzlich bedanken und meine Hochachtung aussprechen, soooooooo viele Kilometer
sind Sie gerannt!
Herzliche Grüße aus Berlin
nach Zürich!
Claudia Grotjan
Kitaleitung Kita am Flugplatz Johannisthal
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Städteverbindende Freundschaft |
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«Zürileu grüsst Berliner Bär» |
Das
Zentrum haben wir nun verlassen und laufen durch die Vororte von Berlin, d.h. jetzt
direkt dem Teltow Kanal entlang. Auch die ersten Verpflegungsposten sind schon
hinter uns. Diese werden mit Namen bezeichnet und der VP 5 heisst «Imbiss am
Ziel». Ziel? Klar nächstes Jahr findet der Lauf ja wieder in der Gegenrichtung
statt und dann kann man von hier aus auf den letzten 30 km bereits das Ziel
schnuppern…bzw. endlich erwarten. Weitere Postennamen sind z.B. «Nina`s Eltern
/ Gedenkstätte Griebnitzsee / Brauhaus Meierei (dazu später mehr) / Lauftreff
Lübars» und viele mehr.

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Einer von vielen tollen Streckenposten |
Gewisse
dieser Verpflegungspunkte haben während den letzten 7 Jahre bereits Kultstatus
erhalten. Man kann wirklich sagen hier geht die Post ab. Da wird alles gegeben
für die Läufer und Läuferinnen. Und wenn man in einen solchen Posten
hineinläuft, hat man die absolute Gewissheit diesen aufgestellt und neu motiviert
dann auch wieder zu verlassen. Es gibt auch sogenannte wilde Stände wo einem
von interessierten Zuschauern Getränke und Verpflegung angeboten wird.

VP 6, Buckower Damm, km 39.
Wir drei sind nun nicht mehr zusammen. Jeder von uns muss nun seinen eigenen
Rhythmus finden. Das ist auch gut so. In der Regel läuft es mir auch besser, wenn
ich alleine bin. Dann muss ich mich nur auf mich konzentrieren. Das ist nicht
böse gemeint aber nur wenige cm kürzere Schritteinheiten können einem in Stress
versetzten. Zudem läuft man ja dann doch bei einer solcher Distanz irgendwann
wieder aufeinander auf. Es braucht dafür nur eine kleine Kriese und schon sieht
die Sache wieder total anders aus.
War noch lustig. Eine ältere Dame die gerade mit ihrem Mann zu ihrem
Schrebergarten ging, hat erstaunt gefragt, was denn da los sei, dass so viele
daher zu springen kommen. Ihr Mann meinte, dass seien sicher solche die in
Berlin an der Weltmeisterschaft seien….Schön wär`s!
Im Bezirk Zehlendorf bei km
59,3 kommt der erste Wechselposten. Sportplatz Teltow. Bis jetzt ging es mir
bestens bin aber nun doch froh, dass ich hier meine Schuhe wechseln und etwas
kleines Essen kann. Hier am Posten herrscht eine ganz tolle Stimmung und die
Helfer unterstützen einem wo es nur geht. Ich mache hier aber nur kurz, etwa 10
Minuten Pause und dann geht’s weiter. Möchte den guten Schwung gleich mitnehmen
man weiss ja nie was noch kommt.
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Beispiel Streckeninfo |
Das Anlaufen
war dann aber doch nicht ganz so einfach und an die gewechselten Schuhe muss
ich mich erst gewöhnen. Der nächste
Stadtteil der nun kommt ist Potsdam.
Dieser Teil von Grossberlin unterscheidet sich nun doch schon sehr von den
anderen die wir bereits durchlaufen haben. Sehr viel Grün, Wald und die ganze
Havellandschaft, wunderschön. Man denk überhaupt nicht, dass man eigentlich in
der näheren Umgebung eine drei Millionen Stadt ist. Gigantische und prunkvolle
Bauten des letzten Jahrhunderts säumen den Mauerweg. Kein Wunder haben sich zu
DDR Zeiten die Stasi Typen hier ihre Villen gekrallt oder hin gebaut. Weg vom
ganzen Mob, unter sich und Parteifreunden.
Kurz nach VP 11 Gedenkstätte Griebnitzsee, kommen wir zur Glienicker Brücke.
Diese Brücke hat im kalten Krieg grosse Bedeutung erlangt. Erfolgten hier doch
mehrere Agentenaustausche zwischen den Amerikanern und den Russen.
Im Jahr 2015
drehte Steven Spielberg mit Hauptdarsteller Tom Hanks auf der Glienicker Brücke
den Spielfilm «Bridge of Spies – Der Unterhändler».
Als in beiden Militärlagern im
Verlauf des Kalten Kriege wichtige Personen des Gegners festgenommen worden
waren, verhandelten Beauftragte über einen Personenaustausch. Als besonders
geeignet erwies sich dabei die Glienicker Brücke. Sie war von den beteiligten
Mächten USA und Sowjetunion von Berlin aus gut erreichbar und das Umfeld konnte
bestens gesichert werden. Die nahegelegene Villa Kampffmeyer diente dem KGB als
Beobachtungsposten. Zwischen 1962 und 1986 wurden auf der Glienicker Brücke
drei Austauschaktionen mit insgesamt 40 Personen durchgeführt. Später ging
sie deshalb unter dem Namen Agentenbrücke
durch die Medien. Der englische Spitzname der Brücke ist Bridge of Spies („Brücke der
Spione“).
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Glienicker Brücke |
7 km nach der Glienecker
Brücke erreichen wir VP 12 Brauhaus
Meierei bei km 79,2. Brauhaus tönt gut und für mich kommt es gerade zur
rechten Zeit. Hab eine kleine Kriese die ich mit einem frisch gezapften Pils
aber gut überstehe. Ein echt sympathischer Posten
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Brauerei Meierei |
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Havellandschaft |
Ich bin jetzt doch mehrheitlich alleine unterwegs. Das Feld zieht sich
in die Länge und wenn ich mal jemanden überhole oder selber überholt werde ist
das schon fast eine willkommene Abwechslung. Wunderschön gelegen taucht dann
plötzlich Schloss Sacrow auf. Wechselposten 2 bei km 91,2. Eigentlich hatte ich
vor hier nochmals einen Tenuwechsel vorzunehmen, entscheide mich aber dagegen.
Alles was jetzt nicht mehr nötig ist an Gepäck für den Rest der Strecke, lasse
ich hier in Beutel 2 zurück. Wichtig sind die Stirnlampe sowie die Leuchtweste.
Essen mag ich hier eigentlich nicht und seit ca. 25 km macht sich bei mir ein mir
nicht ganz unbekanntes gesundheitliches Problem bemerkbar. Meine Blase. Ich
muss…. aber kann nicht. Verdammt mühsam. X mal stelle ich mich hinter einen
Baum aber ausser ein paar Tröpfchen geht gar nichts. Eigentlich kein gutes
Zeichen, das ist mir bewusst und bei jedem Schritt drückt es mir unheimlich auf
die Blase. Dieses Handicap wird mich noch ein paar weiter Stunden verfolgen. Aber
das ist ja noch lange kein Grund um aufzugeben.
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WP2 Schloss Sacrow |
Weiter geht’s. Nicht mehr ganz so locker wie zu Beginn aber ich kann immer noch
rennen und muss noch nicht in den Laufmodus wechseln. Gegen frühen Abend komme
ich dann in die Gegend von Gatow. Hier lebt mein ex Schwiegervater. Obwohl ich
keinen Kontakt mehr zu ihm habe kommen mir doch noch einige tolle Erinnerungen
an die damalige Zeit hoch. Wie es ihm wohl geht? An der Falkenseer Chausse
laufe ich in Posten 17 rein. Ich weiss genau wo ich bin, hab aber im Moment
extrem Mühe mich zu konzentrieren. 110.2 km sind geschafft. Jetzt dunkelt es
langsam ein und ich mache meine Stirnlampe für den kommenden Nachteinsatz bereit. Als ich loslaufe bemerke ich noch ein
ganz besonderes Schild.
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Falkenseer Chaussee
Spandau lasse ich hinter
mir aber jetzt merke ich doch, dass ich nicht mehr mit vollen Batterien laufe.
Muss sogar kurze Gehpausen einlegen. Schaue auch immer wieder zurück ob mich
meine Kollegen Roland und Mundi einholen. Nicht dass ich davor Angst hätte aber
wie ich nach dem Rennen erfahre, habe ich zeitweise einen ganz schönen
Vorsprung von bis 20 Minuten auf sie herausgelaufen. Von Roland weiss ich, dass
er extrem konstant seine Läufe durchziehen kann und wenn er mich mal einholt
wie z.B. dieses Jahr am Rennsteiglauf dann sinken meine Chancen auf null um ihm
zu folgen. Andererseits beruhigt es mich auch etwas, dass ich bis über die
Marke von 123,3 km noch so gut dabei bin.
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Nach Potsdam wieder in Berlin |
Beim Posten Grenzturm
Nieder Neuendorf muss ich dann kurz Pause machen. Bin fix und fertig. Ich zwinge
mich regelrecht einen Gel reinzudrücken. Dieser kommt aber Postwenden wieder
zurück. Scheisse Keller, jetzt sieht's mal gerade gar nicht gut aus. Genau
jetzt läuft auch Roland hier ein. Auch seine Verfassung ist nicht die aller
beste. Wir beschliessen gemeinsam weiterzulaufen. Ja laufen, denn bei beiden
ist an Rennen im Moment nicht zu denken. Im Nachhinein kann ich sagen und dies
auch im Namen von Roland, dass dies die absolut beste Entscheidung für uns beide
war. Ein bisschen Quatschen und zügig durch die Nacht.
Am WP 3 bei km 128,3 Ruderclub Oberhavel
ist um Mitternacht einiges los. Eine Disco in der Nähe macht ganz schön
Stimmung. Ist ja Samstagabend und für «Normalos» ist eine kleine Party ja
nichts aussergewöhnliches, besonders jetzt im Sommer und bei diesen tollen
Temperaturen. Es sind ja nicht alle so gepickt wie wir und Laufen eben mal 161
km durch die Gegend. Wir machen nur ganz kurz halt und schon geht es wieder
weiter.
Ich fühle mich langsam
wieder besser und meine Kräfte kommen zurück. Obwohl wir immer noch zusammen sind
habe ich jetzt einen zackigen Schritt drauf.
Ich kann jetzt auch sagen, dass ich diese Krise gut überstanden habe. Nicht das
erste Mal habe ich mich wieder zurückgekämpft. Ans Aufgeben habe ich keine
Sekunde gedacht. Über die Jahre und bei den verschiedenen Trails oder Mehretappenläufen
in der Wüste – dies teilweise ohne Schlaf und über 30 Stunden und mehr - habe ich gelernt, immer positiv zu Denken.
Schlechte Gedanken werden von mir aus dem Hirn gelöscht. Dafür bin ich dankbar,
dass ich mir diese Eigenschaft zu Kämpfen angeeignet habe, auch wenn man meint
es geht nicht mehr…es geht immer wieder weiter. Zudem bin ich überzeugt, dass
solche Herausforderungen zu 90% im Kopf entschieden werden und das kann man
sich aneignen mit eisernem Willen auch
wenn es manchmal zum Heulen weh tut.
Die letzten 25 km von VP
19 bis VP 23 bei km 143,4 waren wirklich hart. Ich hatte einen Schnitt von über
10 Min. pro Kilometer. Bin fast gestanden.
Jetzt sind es noch gut 18 km bis ins Ziel. Wir beide wissen, dass wir das
schaffen werden. Uns kommt auch zugute, dass wir nun langsam wieder in einem
Teil von Berlin sind der gut bevölkert ist. Das bringt Abwechslung und wenn es
nur einzelne Passanten sind oder mal ein Auto welches uns mitten in der Nacht
begegnet.
Den letzten Teil der Strecke laufe ich nun alleine. Froh meinen Rhythmus wieder
gefunden zu haben und mit dem nahenden Ziel vor Augen, wird meine Stimmung
immer besser. Sollte mein Traum den ich vor über 35 Jahren schon geträumt habe,
einmal um die Berliner Mauer zu Laufen, nun doch in Erfüllung gehen? Noch
wenige Kilometer trennen mich vor diesem Ziel.
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Über diese Brücke muss Du geh....... |
Dann plötzlich noch ein Schreck Moment. Den VP 26 Wolkanstrasse passiere ich. Noch ein kleiner Schwatz mit dem alleine anwesenden Postenmenschen und weiter geht’s. Ups, da stimmt aber etwas nicht mehr. Keine Markierung mehr in Sicht. Die ganze Strecke über war diese perfekt. Verlauf war praktisch unmöglich. Und nun, 3 km vor dem Ziel stehe ich neben den Schuhen…bzw. der Strecke. Jetzt nur keine Panik. Ein paar durchgezechte Typen stehen an einer Bar. Diese nach dem Weg der 100 Meilen von Berlin zu fragen scheint mir keine gute Idee zu sein. Ich mache kehrt und laufe in der Gegenrichtung zurück. Schätzungsweise 800 – 1000 Meter, dann bin ich wieder auf dem markierten Weg. Nun nochmals volle Konzentration. Bereits sehe ich die Aussenmauern des Jahn Sportparks. Durch das Tor rein und dann sind es noch wenige Meter bis zur 400 Meter Bahn. Kopf hoch, Brust raus und volle Pulle durch. Die letzten Meter werden für mich zur persönlichen Ehrenrunde. Hände hoch in den Himmel und rüber über die Ziellinie. Geschafft, unglaublich ich habe es gepackt.
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161 km Mauerweg |
Ein paar Minuten später kommt dann auch Roland überglücklich ins Ziel
gelaufen. Wie wir später erfahren, sollte es für Mundi leider nicht reichen.
Eine Verletzung hat ihn aus dem Rennen genommen. Schade, aber auch hier, die
Gesundheit geht vor und er hat absolut richtig entschieden.
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Happy und glücklich im Ziel |
Nach rund 22 Stunden und
25 Minuten ist es geschafft. Und das grösste dabei, die Bucklet ist mein. Wow.
Nach zwei Stunden Schlaf mache ich mich mit Moni auf an den Kurfürstendamm um Tadesse Abrahams Zieleinlauf, den er als zweit
platzierter der Europameisterschaft im Marathon erringt, noch miterleben zu
können. Wenn das kein erfolgreiches Schweizer Wochenende ist!
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Tade 2. Platz, Vize Europameister |
Siegerehrung
Am Nachmittag findet die Siegerehrung statt. Jeder einzelne Läufer wird
dabei namentlich
aufgerufen und es wird ihm von Rainer Eppelmann die Medaille
und in meinem Fall auch noch die Bucklet überreicht. Eine ganz schöne Geste.
Startnummer: 314
Strecke: 100
Meilen von Berlin (161.9 km)
Zeit: 22:25,39 8.19/km
Rang: Kategorie
M55: 14. von 40 klassierten
/ 50 Teilnehmer
Overall: 97. von 313 klassierten / 397 Teilnehmer
CH Männer 1.
von 4 gestarteten
CH
M+F 2. von 5 gestarteten
Bestzeit CH: Ursula Herger
20:23,47
http://100meilen.de